Die Beziehung zwischen Gehirn und Darm
Das Gehirn ist ein eng vernetztes Nervenzellengeflecht, was dynamisch, komplex und eigenständig agiert und doch eng mit dem restlichen Körper und anderen Organen verbunden ist. In den äußeren Randregionen (Kortex, Subkortex) entstehen das Verhalten, die Wahrnehmung, unsere Erinnerungen und emotionale Verarbeitung. In tieferliegenden Bereichen des Gehirns (Stammhirn) wird die Homöostase, die Integrität aller autonomen Körpersysteme, konstant reguliert und aufrechterhalten. Das Gehirn ist der Chef im Körper. Es „sieht“ alles und bekommt sofort Unterrichtung, wenn es irgendwo im Körper klemmt. Das Gehirn ist ein Steuerorgan, denn es entscheidet wann, was, wie geregelt wird.
Der Darm hingegen ist ein ca. 7 Meter langer Verdauungsschlauch voller Mikroorganismen, dem sogenannten Mikrobiom, der nicht nur unsere Nahrung in kleinste Teile zerlegt und so zugängliches „Futter“ für Körperzellen herstellt, sondern auch das größte Immunorgan des Menschen ist.
Neben Verdauungs- und Immunfunktion des Darmes ist in den letzten Jahren aber immer mehr bekannt geworden, dass es ein komplexes Netzwerk aus Nervenzellen in unserem Verdauungsapparat gibt, welches durchaus als Darm-Gehirn oder fachlich als enterisches Nervensystem bezeichnet werden kann.
Auch die naheliegende Verbindung und Wechselwirkung der beiden Organe Darm und Hirn rückt so immer mehr ins Bewusstsein der Forschung. Speziell bei neurologischen Krankheiten wie Alzheimer, Demenz, Multiple Sklerose, Autismus, Depression, Angstzuständen und Schizophrenie kommen psycho-biologische Zusammenhänge von Darm zum Hirn langsam ans Tageslicht. Konkret kann das bedeuten, dass auch ein kranker Darm an der Entstehung einer neurologischen Erkrankung beteiligt sein kann. Der Signalweg zwischen Darm und Gehirn ist aber keineswegs eine Einbahnstraße, sondern steht in einer beiderseitigen Wechselwirkung. Ist das Gehirn besonderem Stress (zum Beispiel sozialem Stress) ausgesetzt, kann sich das negativ auf die Zusammensetzung und Diversität des Darm-Mikrobioms auswirken und so auch das Immunsystem beeinflussen. Eine Therapie mit bestimmten Bakterienstämmen (Bifidobacterien und Lactobacillen) kann dem Körper wiederum mehr Widerstandskraft in stressigen Zeiten verleihen. Das sind nur einige wenige Beispiele, die für das enge Verhältnis dieser beiden Superorgane stehen. Doch über welche Wege im Körper kommunizieren sie miteinander?
Die Nerven – Haben Organe Gefühle?
Eine der „Hotlines“ im Körper ist der Nervus Vagus. Ein Nerv, der alle Organe (Speiseröhre, Magen, Darm, Leber, Herz, Lunge, Niere, Milz) mit dem Gehirn verbindet und dessen Funktionen steuert. Auch er funktioniert in beide Richtungen, Gehirn zu Organen und Organe zu Hirn. Daher können Regungen im Gehirn in den genannten Organen „Gehör“ finden und anders herum, eine besondere Kommunikation also.
Interessanterweise kommen die meisten Informationen über den Nervus Vagus an das zentrale Nervensystem aber vom Darm. Deshalb wird diese Verbindung auch als Gehirn-Darm-Achse betitelt und nicht zum Beispiel Gehirn-Herz- oder Gehirn-Lungen-Achse, obwohl auch zwischen diesen Organen wichtiger Informationsaustausch (= Kommunikation) stattfindet.
Aufsteigende Wege des Nervus Vagus leiten viszerale Signale des Darms durch den Rumpf nach oben ins Stammhirn und werden dort mit höheren Gehirnregionen vernetzt. Die Vernetzung führt unter anderem bis zum Hypothalamus – zuständig für vegetative Körperfunktionen, sowie Schaltstelle für Hormon- und Nervensystem – und zum limbischen System, welches für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist.
Die absteigenden Wege des Vagusnervs beginnen im Inselcortex, dem Bereich im Gehirn, der für Mitgefühl, Selbstwahrnehmung, Erfahrung und zwischenmenschlicher Beziehung zuständig ist, der Amygdala – zuständig für emotionale Bewertung und Analyse möglicher Gefahren- und im schon beschriebenen Hypothalamus. Von dort wandern die Nervenfasern aus der Schädelbasis heraus und ziehen herunter bis in den Darm. Die Informationen entlang des Nervus Vagus laufen autonom, also unbewusst ab. So kann der Darm blitzschnell auf Alarmsignale aus dem Hirn reagieren, um das Gleichgewicht im Körper aufrecht zu erhalten. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Situation kurz vor einer schwierigen Prüfung: Wir bekommen ausgerechnet jetzt Durchfall und haben im wahrsten Sinne des Wortes „Schiss“. Eigentlich versucht der Körper uns zu helfen. Schlagartig wird die energieaufwändige Verdauung gestoppt und sicherheitshalber alles auf schnellstem Wege rausgeworfen, damit der Körper sich voll und ganz auf die fordernde Situation konzentrieren kann.
Was versteht man unter Interozeption?
In der Neuropsychologie gibt es den Begriff „Interozeption“. Er beschreibt die Sammlung aller Informationen, die vom Körperinneren zum Gehirn weitergeleitet werden. Psychologische Studien zeigen, dass die Interozeption und die korrekte Körperwahrnehmung mit dem Grad des Wohlbefindens korreliert. Je mehr Informationen vom Darm ins Gehirn gelangen und auch bewusst wahrgenommen werden, desto genauer erleben diese Menschen ihre Bedürfnisse und können besser darauf reagieren, sowie ihr Verhalten danach ausrichten. Die Verarbeitung von Informationen aus den Organen scheinen im Gehirn besonders Netzwerke zu nutzen und zu stimulieren, die für Emotionen und Verhaltensregulation verantwortlich sind. Somit spielen diese viszeralen Signale eine große Rolle in der subjektiven Empfindung von Emotionen. Der Satz „Höre auf dein Bauchgefühl“ spiegelt dieses unbewusste Verständnis wider, dass wir uns manchmal auf unser Bauchgefühl konzentrieren müssen, um zu spüren, was wir wirklich wollen oder uns gut tut. Unsere Organe arbeiten unbewusst, doch wenn wir uns darin üben, unsere Organe bewusst zu spüren – also beispielsweise den eigenen Herzschlag zu spüren oder die Darmbewegungen – fördert dies unser Wohlgefühl mit uns selbst.